Was denkt ihr über unseren Kanzler zur Zeit? Nehmt ihr ihn wie ich als profillose "biegsame" Person wahr oder seht ihr in ihm Stärken, die unserem Land deutlich weiterhelfen?

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Bevor er in die Sommerpause geht, will der Bundeskanzler heute in einer langen Pressekonferenz seine Politik erklären. Wir erklären: ihn. Wer ist Olaf Scholz? Und wie ist er so geworden?

Die Hälfte der Legislaturperiode ist vorbei, Olaf Scholz macht erst mal Pause. An diesem Freitag will der Bundeskanzler in der Sommerpressekonferenz vorher aber seine Politik noch mal erklären: Panzer, Heizungen, Kindergrundsicherung. Ein guter Zeitpunkt, um Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Kanzler jenseits der Tagespolitik zu suchen: Wie spricht er? Wie führt er? Wie hält er es mit den Genossen? Und: Steht er eigentlich auf Autos?

Der Kommunikator

Olaf Scholz kennt genau zwei Situationen: die, in denen er etwas sagen will. Und die, in denen er etwas sagen muss. Müssen tut niemand gern. Aber andere Politiker können es besser überspielen als Scholz, ihm merkt man sein Nichtmüssenwollen oft an. Mal wirkt er dann lustlos, mal gereizt. Wenn er zum Beispiel Reden hält, liest er den Text oft ohne besondere Emphase ab, sodass sich seine Zuhörer sehr konzentrieren müssen, um dranzubleiben. Immer wieder reagiert der Kanzler in Pressekonferenzen scharf, ebenso in den Briefings für Korrespondenten, die mit ihm im Flugzeug reisen, stellt Fragen als abwegig dar, Journalisten als schlecht informiert.

Doch meist gelingt es Scholz, in schwungloser Sachlichkeit, die Wohlmeinende ihm als Ausdruck von Hanseatentum auslegen, das Nötige mitzuteilen. Dazu noch mit der leisen Stimme, die er nun mal hat. Selbst seine eigenen Minister sind davon genervt, wenn er am Kabinettstisch mal wieder etwas murmelt, das schon wenige Plätze weiter keiner versteht. „Lauter!“, ruft dann schon mal einer. Es nützt wenig.

Doch Scholz kann auch anders – eben wenn er will. Zum Beispiel im Gespräch mit Menschen, deren Anliegen er wichtig findet. Einmal etwa, da war er noch nicht Bundeskanzler, war er zu Gast bei der Vorsitzenden des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, die blind ist. Einer aus deren Umfeld erzählte anschließend, Scholz sei einer der wenigen Leute überhaupt, die während des Gesprächs mit Bentele diese direkt anschauten und zu ihr sprächen statt den Blick anderer Leute im Raum zu suchen. Das habe ihm sehr imponiert. Auch bei den Grünen und in der FDP hat Scholz sich Respekt erworben als ehrlich aufmerksamer Zuhörer.

So wie schlechte Laune lässt sich Scholz auch gute Laune anmerken. Im Oktober 2021 zum Beispiel. Da war er noch Finanzminister, aber alle Signale standen auf Kanzlerschaft. Mitten in den Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung flog er zur Tagung von IWF und Weltbank. Selbst langjährige Begleiter bemerkten seine Hochstimmung. Er scherzte, duzte Journalisten im Kollektiv. Das Lebensziel war zum Greifen nah. Auch in Hintergrundrunden mit Journalisten kommt Scholz manchmal ins Plaudern: Er kann dann leidenschaftlich über seine Erfolge als Hamburger Bürgermeister, seine Glanzstunden als Finanzminister und seine Siege als Kanzler reden. Ironisch-kritische Fragen zum Thema Unfehlbarkeit laufen ins Leere, Scholz erzählt einfach weiter.

Wenn er Englisch spricht, ist die Chance höher als sonst, dass er wirklich etwas sagt. Sein Englisch ist gut, aber nicht gut genug, um alle Umständlichkeiten seines Deutschs zu spiegeln. Als Scholz im März ein viel beachtetes CNN-Interview gab, scherzten seine eigenen Leute anschließend, am besten solle der Kanzler Interviews nur noch auf Englisch geben.

Und dann gibt es noch einen Fall, in dem Scholz mehr als sonst sagt: Wenn er wirklich bewegt ist. Seine Rede zur „Zeitenwende“ war dadurch gut, und viele seine Auftritte vor Bürgern sind es auch. Vor allem, wenn er da Gegenwind bekommt. So wie am 1. Mai in Koblenz, wo Gegner der Waffenlieferungen ihn niederbrüllen wollten, oder einen Monat später in Falkensee. Auch da beschimpften Demonstranten ihn als Kriegstreiber. In beiden Fällen schleuderte Scholz ihnen seine Gegenargumente mitreißend entgegen. In Falkensee schloss er mit den fast schon pathetischen Worten: „Die Demokratie zeigt: Es gibt Schreihälse, aber wir können lauter reden.“ Und schloss, fast so, als wolle er nun schnell wieder zurückschlüpfen in den Alltags-Scholz, betont unaufgeregt: „Schönen Tag.“

Der Entscheider

„Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“ Das hat Olaf Scholz 2011 gesagt, und jedenfalls bei den Hamburgern kam das gut an: Kurz drauf wurde er mit absoluter Mehrheit zum Ersten Bürgermeister gewählt. Nun führt er die Bundesregierung an, aber das ist ja zunächst mal eine Funktionsbeschreibung. Scholz ist kein „Basta“-Kanzler. Die Frage, wo denn eigentlich die Führung ist, stellen in regelmäßigen Abständen Koalitionspartner, Oppositionspolitiker und manchmal sogar Sozialdemokraten. „Vielleicht hat sie niemand bestellt“, wurde neulich in einer Landesregierung gescherzt.

Scholz sieht sich als Gegenmodell zu aggressiv auftretenden Führungsfiguren wie Donald Trump, „der sich voll mackerig hinstellt und sagt: ,Ich löse mehr oder weniger alle Probleme durch Mackersein‘“. So hat es der Kanzler im März vor Bürgern in Cottbus gesagt. In den vielen Konflikten in der Ampel ist seine Rolle die des Moderators. Er hört sich die eine Seite an, dann die andere. FDP und Grüne wissen oft nicht, was er selbst eigentlich denkt. Keine Zweifel bestehen nur daran, dass er derjenige ist, der am längsten Hebel sitzt.

Einmal hatte Scholz den Eindruck, das deutlich machen zu müssen: Im Streit um die Laufzeitverlängerung der Atomkraft hat er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht. In Klimafragen hat sich Scholz öfter auf die Seite der FDP geschlagen. Es stehe immer „zwei zu eins“, beschweren sich Grüne, dabei habe Scholz im Wahlkampf doch „Klimakanzler“ plakatiert. Am Kanzler prallt das ab, er ist der Meinung, schon viel für das Klima getan zu haben.

Zu Beginn der gemeinsamen Regierungszeit hatten die drei Ampelparteien sich in Euphorie über den neuen Stil in der politischen Kultur Deutschlands überschlagen. Scholz hat da nicht mitgemacht, er beließ es dabei, die Gesprächsatmosphäre als „wohltuend“ zu beschreiben. Anders als seine Koalitionspartner empört er sich auch nicht, wenn es mal nicht so läuft. Sein Kommentar zum dreißigstündigen Koalitionsausschuss Ende März: Es seien „sehr, sehr gute Ergebnisse“ erzielt worden. Am Mittwochabend kam der Koalitionsausschuss noch einmal vor der Sommerpause zusammen, um die künftige Zusammenarbeit zu besprechen. Berichtet wurde, der Kanzler habe sich „sehr ausführlich“ darüber ausgelassen, dass der Kompromiss ein Wesensmerkmal guter Politik sei.

Scholz ist überzeugt, dass die Deutschen auf der Kommandobrücke einen Politiker wollen, der am Steuerrad eine ruhige Hand hat und nicht hektisch die Richtung wechselt. Er teilt ein Credo mit dem britischen Königshaus: never complain, never explain. Dahinter steckt die Annahme, dass die meisten Leute sich nicht für jedes Trippelschrittchen der Berliner Politik interessieren, sondern Ergebnisse sehen wollen. Deswegen muss man auch nicht über jedes Schrittchen sprechen.

In Scholz’ Umfeld wird eine Variante der Geschichte von den Gesetzen und der Wurst erzählt, die Bismarck zugeschrieben wird: Weil es beim Wurstmachen so blutig zugehe, verderbe einem das Zuschauen nur den Appetit. Am Ende zähle doch nur die schmackhafte Wurst. Die Öffentlichkeit bekommt von dem Schlachtfest aber trotzdem etwas mit, weil Grüne und FDP ihren Streit mit destruktiver Freude austragen. Scholz lässt das laufen, sollen sich die beiden kleineren Koalitionspartner nur müde kämpfen. Und so entsteht insgesamt ein Bild von der Koalition, über das sich Grüne und Gelbe aufregen können: Scholz, der geduldige Vater, der die streitenden Kinder besänftigt und, wenn nötig, zur Ordnung ruft.

Der Genosse

Als Olaf Scholz noch jung war und einen Wuschelkopf hatte, war er als Jungsozialist politisch bei den ganz Harten unterwegs, auf dem Stamokap-Flügel, benannt nach Lenins Wort für Staatsmonopolkapitalismus. Diese Gruppe wollte die gesamte Wirtschaft verstaatlichen und sie der Kontrolle von Parteifunktionären unterwerfen. Besonders verhasst waren ihnen die Spaß-Jusos, die das Recht auf Faulheit forderten. Das passte nicht zum fleißigen Scholz. Hat ihn diese Zeit, über die Schauergeschichten über erbitterte Machtkämpfe zwischen den Flügeln kursieren, geprägt?

Die harte Schule hat ihm für seine Karriere genutzt. Denn in den Flügelkämpfen der Jusos lernte man, Koalitionen und Gefolgschaften zu bilden und dabei allerlei Tricks anzuwenden, etwa Sachfragen dafür zu instrumentalisieren, um Personalentscheidungen durchzusetzen. Scholz kennt das alles, und es hat seinen Anteil daran, was er geworden ist: ein kühler Taktierer, geschickter Verhandler und auch ein entschiedener Macher.

Als Machtpolitiker kann sich Scholz lange zurückhalten, verfolgt seine Ziele aber beharrlich. So hat er – zusammen mit Andrea Nahles – nach der Bundestagswahl 2017 dafür gesorgt, dass sowohl Sigmar Gabriel als auch Martin Schulz keine führende Rolle in der SPD und in der Regierung mehr spielten. Scholz bewies auch organisationspolitisches Gespür, um Kanzler zu werden. Er wusste, dass er eine Gruppe braucht, um dieses Ziel zu erreichen – daran, dass sie keine hatten, scheiterten unter anderem die Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und Schulz. Scholz baute das von ihm geführte Bundesfinanzministerium ab 2018 zu einer Kraft aus, die der Eroberung des Kanzleramts diente, mit seinem Vertrauten Wolfgang Schmidt als oberstem Kanzleramtsstürmer. Der Plan ging (nicht nur, aber auch deswegen) auf.

Manchmal neigt Scholz aber zum Übertaktieren, etwa als er die Minister im Kabinett für die SPD bestimmte. Er nominierte wegen des öffentlichen Zuspruchs Karl Lauterbach als Gesundheitsminister, den er nicht vorgesehen hatte, musste deshalb wegen der versprochenen Geschlechterparität Christine Lambrecht zur Verteidigungsministerin machen. Das Taktieren hat sich gerächt. Erst mit der Berufung von Boris Pistorius als Lambrechts Nachfolger tat Scholz wieder, was er für richtig hielt, ohne Zweitüberlegungen zu berücksichtigen.

Von der kommunistischen Ideologie, die ihm in jungen Jahren das Hirn vernebelte, hat sich Scholz nach dem Zusammenbruch des Kommunismus getrennt. Er selbst spricht mitunter von einem Entgiftungsjahr, das er damals gebraucht habe. Seitdem hat er sich keine andere Ideologie gesucht, sondern ist zum Superpragmatiker geworden.

Auch von Karl Marx hat sich der Kanzler kürzlich distanziert. Mit seiner Theorie, dass erst alles gut sei, wenn die Menschen nicht mehr entfremdet arbeiteten und sich ihre Arbeit komplett aussuchen könnten, habe der Philosoph danebengelegen. „Das ist ja Quatsch“, sagte Scholz, „das darf uns auch nie wieder reinrutschen ins Denken.“ Selbst einer Parteiströmung hat sich Scholz nicht angeschlossen. Zwar steht er heute dem Seeheimer Kreis nahe, von der Parteilinken gern als „Kanzlerunterstützungsverein“ beschrieben, doch offizielles Mitglied ist Scholz nicht.

Ein älterer Genosse hegt den Verdacht, dass Scholz schon in seiner radikalen Jugend im Grunde ein Pragmatiker gewesen sei. Und erzählt folgende Anekdote: Die Stamokap-Fraktion wollte auf einem Juso-Kongress den Beschluss durchsetzen, dass die 200 größten deutschen Unternehmen verstaatlicht werden sollten. Es gab Widerspruch von den weniger Radikalen. Schließlich einigte man sich auf 100 Unternehmen. Die Stamokap-Radikalen waren dennoch lauthals empört, nur Scholz blieb auffallend gelassen. Auf Nachfrage habe er seinen Genossen gesagt: „Ist doch egal, wird doch sowieso nichts.“

Der Mensch

Was gerne vergessen wird: Ein Kanzler ist ein Mensch. Bei Olaf Scholz ist der Hinweis doppelt wichtig, weil er sich als SPD-Generalsekretär den Spottnamen Scholzomat erworben hatte durch das Wiederholen der immer selben Botschaft. Jenseits davon, welche Reden er hält, wie er regiert, wie wohl er sich in seiner Partei fühlt, gibt es also noch weltliche Fragen: Fährt er gerne Auto? Trinkt er Bier? Mag er Sport? Was macht die Familie? Kann er mit Kindern umgehen?

Um mit einem Klischee anzufangen: Olaf Scholz mag Autos. Er tut nicht so, als müsse er wegen des Kampfes gegen den Klimawandel Autofahren doof finden und nur als beruflichen Zwang akzeptieren. Noch zu Beginn dieses Jahres gab er zu, dass er gerne schnell gefahren sei, als er noch selbst am Steuer saß. Legendär war sein rotes BMW-Cabriolet, Scholz ist Fan der Marke. Als Arbeitsminister berichtete er 2007, das Fahrzeug sei „ordentlich motorisiert“. In Hamburg wurde der Erste Bürgermeister Scholz gelegentlich am Steuer des BMW i3 der Senatskanzlei gesehen. Von der Beschleunigung eines Elektroautos kann der Kanzler mit jungenhafter Freude schwärmen.

Noch ein Klischee: Bier. Es ist schon eine Weile her, dass er in einem Interview mit der F.A.S. sagte, dass er gerne Bier trinke. Er fügte allerdings hinzu, dass er gerade auf Alkohol verzichte, um schneller abzunehmen. Bis heute setzt Scholz gelegentlich für eine Weile aus. Wie ein normaler Mensch also.

Vom Trinken zum Essen. Scholz isst wie fast alle Politiker tagsüber nur unregelmäßig, kommt oft hungrig irgendwohin, wo er auf seinen Auftritt wartet, während alle anderen sich schon am Grill bedienen. So geschehen etwa auf dem Sommerfest der Parlamentarischen Linken im vorigen Jahr, wo er beinahe verlegen massenhaft Salzstangen aus einem Glas auf dem Biertisch aß. Anders als andere Politiker neigt er offenbar aber nicht dazu, die verpassten Mahlzeiten spätabends nachzuholen. Das sähe man ihm wohl an. Er ist während seiner Amtszeit eher noch schmaler als runder geworden.

Das öffnet Räume bei der Kleidungswahl. Tendenziell trägt er schmal geschnittene, gut sitzende Anzüge. Dann wieder reist er im „Kanzler-Pulli“, einem lässig gemeinten Oversize-Stück, oder er steigt in zerknittertem T-Shirt, Jeans und mit verbeulter Ledertasche aus dem Flieger, so als reiste ein Entrepreneur und nicht ein Staatsmann. Scholz ist 65 Jahre alt, will dabei locker rüberkommen. Auf seinen Reisen führte er eine Neuerung ein, gemessen an den Gewohnheiten seiner Vorgängerin eine Revolution. Er lässt sich zu Beginn der vertraulichen Briefings mit den mitreisenden Journalisten filmen, gerne auch im lässigen Outfit.

Scholz war nie dick. Aber er nahm ab, als er anfing, regelmäßig Sport zu machen. Laufen und Rudern. Zumindest das Laufen hat er beibehalten, er ist in Potsdam regelmäßig mit seinen Bodyguards unterwegs. Grazil eher nicht, sondern etwas krampfig, sagen Augenzeugen.

Scholz ist spröde, aber soll privat auch witzig und nicht so unterkühlt sein wie in seinen Interviews und Auftritten. Gelegentlich erleben das sogar Journalisten. Seine Frau Britta Ernst, die bis vor Kurzem Bildungsministerin in Brandenburg war, ist so ähnlich, noch spröder sogar, ihr Humor noch versteckter. Auch im größeren Kreis von Menschen, die nicht zum Freundes- und Bekanntenkreis zählen, spricht Scholz ganz selbstverständlich von „Britta“, wenn er über seine Frau redet.

Scholz und Ernst haben keine Kinder. Trotzdem versteht er es, so mit Kindern zu reden, dass es nicht zu sehr nach Bundeskanzler klingt. Zum Beispiel kürzlich bei einem Besuch der Eigenherd-Grundschule in Kleinmachnow in Brandenburg. Da sagte er, dass er es „bekloppt“ finde, wenn sich Menschen wegen des Klimawandels auf der Straße festklebten.